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Straßennamen mit kolonialem Bezug

Straßennamen als Erinnerungsraum

Straßenschild Windhukstraße
Foto: Tristan Vankann

Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, beeinflusst auch die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, innerhalb ihres gesellschaftlichen Umfelds aktiv Entscheidungen zu treffen - sowohl im privaten Rahmen als auch in der Bremer Stadtöffentlichkeit. Dabei hat jede Generation ihre Spielräume, und jeder Generation obliegt es, in diesen Freiräumen verantwortungsvoll zu handeln. Und so ist das Wissen um die Geschichte auch etwas, das wir als sinnstiftend begreifen. Dies spielt nicht zuletzt eine wesentliche Rolle für das gesellschaftspolitische Selbstverständnis innerhalb einer Kommune oder eines Bundeslandes. Dabei ist den meisten von uns klar, dass die Bewertung geschichtlicher Ereignisse und Zusammenhänge immer wieder Revisionen unterworfen ist. Dies gilt umso mehr, wenn es um ethische oder politische Fragen geht.

Dem italienischen Philosophen Benedetto Croce zufolge ist jede Geschichte in letzter Konsequenz Gegenwartsgeschichte. Damit ist gemeint, dass jede kritische Studie der Vergangenheit letztendlich geprägt ist durch die gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen der Gegenwart. So ist Geschichte eigentlich das, was wir in der Vergangenheit sehen - mit heutigem Blick, der durch aktuelle Fragen geschärft ist.

Straßennamen verweisen, als Teil des kollektiven Gedächtnisses, auf eine für die jeweilige Gemeinschaft als bedeutsam erachtete Geschichte und vor allem auch auf das Einschreiben politischer und moralischer Wertungen in eben jenes Gedächtnis. Vor allem mit dem Aufkommen sekundärer Straßennamen in Bremen im 19. Jahrhundert wurde eine frühe Form der Geschichtspolitik für die Strukturierung öffentlicher Räume herangezogen. (1) Dabei verweist genau dieser Umstand auf die Herrschaftsverhältnisse in der Zeit, in welcher die jeweilige Straße oder das öffentliche Gebäude benannt wurde.

Hierzu fasst der Historiker Matthias Frese zusammen: "Zugleich ist das kollektive Gedächtnis auf die Politik als Organisationshilfe angewiesen. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Erinnerungen unzulässig verkürzt und verändert werden. Straßennamen sind deshalb kein Gedächtnis einer Stadt, sondern bilden zunächst die Erinnerung der herrschenden, Namen gebenden Gruppen, Institutionen und Einrichtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt ab." (2)

Straßenschild Karl-Peters-Straße
Foto: Tristan Vankann

Zur Bedeutung von Straßenbenennungen ist festzuhalten, dass diese, neben dem Praxiswert einer Orientierung, als Verweis auf erinnerungswürdige Personen, Orte oder Ereignisse zu sehen sind. Vor allem aber stellt die Benennung einer öffentlichen Straße oder Fläche eine besondere Ehrung dar. (3) Diese gilt es immer wieder auf ihre Validität für die gesellschaftlichen Werte unserer heutigen Gesellschaft zu überprüfen: Wem vor hundert Jahren in den Augen der politisch Verantwortlichen Ehre gebührte, mag unter heutigen Maßstäben ganz gegensätzlich eingeschätzt werden. Wichtig ist hierbei, zwischen Ehrung und Mahnung zu unterscheiden. Als reine Mahnung ist eine Straßenbenennung nicht vorgesehen und wäre in den meisten Fällen auch problematisch. Aus gutem Grund gibt es in Deutschland keine "Auschwitzstraße". Natürlich kommt es in dieser Hinsicht auch zu Ausnahmen, die mitunter auch kontrovers diskutiert werden, so zum Beispiel die "Hiroshimastraße" in Berlin (an der allerdings auch die japanische Botschaft gelegen ist).

In den letzten Jahren sind bundesweit Diskurs sowie Praxis zur Umbenennung, Umwidmung oder Kommentierung von Verkehrsflächen mit kolonialem Bezug erinnerungspolitisch in den Vordergrund gerückt. In mehreren Städten (unter anderem zuletzt in Hamburg, Berlin und Mannheim) waren Bürgerbegehren bereits erfolgreich. In der Regel geht es bei den verschiedenen Umbenennungsdebatten um die gleichen Personen (zum Beispiel Peters, Lüderitz, Leutwein, Nachtigal). Auch ein großer Teil der Vorschläge für eine Neubenennung ähnelt sich von Stadt zu Stadt. Anti-koloniale Initiativen sind bundesweit vernetzt und orientieren sich mitunter an den Recherchen der jeweils anderen.

Zunächst ist in den letzten etwa 15 Jahren die bundesweite Debatte zur Aufarbeitung der deutschen kolonialen Vergangenheit und der damit verbundenen erinnerungspolitischen Verantwortung vor allem "von unten", durch Bürgerinitiativen, Ortsbeiratsfraktionen, und anderen angestoßen und geführt worden. Doch ist in den letzten Jahren ein Trend der Institutionalisierung dieser Umbenennungsdebatte und -praxis zu beobachten. So sind allein im vergangenen Jahr Planstellen zu Verkehrsflächenumbenennungen und zur Betreuung der entsprechenden erinnerungspolitischen Debatten in Hamburg, Kassel und Stuttgart eingerichtet worden. In diesem Zusammenhang lässt sich festhalten, dass Stadt und Land Bremen in der konkreten Umsetzung von Umbenennungen, Umwidmungen und Dokumentierung von Straßennahmen im kolonialen Kontext in den letzten Jahren gegenüber anderen deutschen Kommunen zurückgefallen sind.

Kolonial belastete Straßennamen in Bremen

Straßenschild Lüderitzstraße
Foto: Tristan Vankann

In den letzten Jahren wurden Namensgeberinnen und Namensgeber Bremer Straßen mit kolonialem Bezug vielfach herausgestellt und dokumentiert, unter anderem vom Verein "Der Elefant", der Initiative "Postkoloniales HB", der Stadtteilinitiative "Walle entkolonialisieren!" oder auch der Landeszentrale für politische Bildung, Bremen. Ebenso sind insbesondere Beiratsfraktionen in Walle, Gröpelingen und Schwachhausen in diesem Sinne aktiv.

Nicht zuletzt hat sich auch der Senator für Kultur intensiv in die Auseinandersetzung eingebracht. Von dieser Seite wurde nun eine detaillierte Auflistung möglicherweise kolonial belasteter Straßennamen erstellt. Hierbei wurde die Masterarbeit "Straßennamen in kolonialen Kontexten - Benennungspraktiken als politische Machtdemonstration unter besonderer Berücksichtigung der Hansestädte Bremen und Hamburg" von Anna Wolters aus dem Jahr 2017 als Grundlage genommen. Die Liste umfasst ursprünglich 55 Einträge, von denen jedoch einige letztlich als irrelevant für eine weitere Nennung angesehen werden müssen.

Untersucht wurde nun, welche der Straßennamen einen validen kolonial-historischen Hintergrund haben. Hierfür wurde das Adressbuch der Hansestadt Bremen aus dem Jahr 1959/60 herangezogen, in dem zu den meisten Straßennamen eine kurze Erläuterung zu den Namensgeberinnen und Namensgebern vorangestellt wird. Abgeglichen wurde dieser Datensatz mit der entsprechenden Literatur (hier vor allem dem "Bremer Straßenlexikon" von Monika Porsch). Zur Überprüfung des historischen Hintergrunds der in die Liste übernommenen Straßennamen wurde die einschlägige Forschungsliteratur und zeitgenössische Dokumente herangezogen. Schließlich konnte die Liste von Namensgeberinnen und Namensgebern im kolonialen Kontext um neun Fälle erweitert werden.

Als nächster Schritt wurden die aufgeführten Straßennamen nach den vorläufigen Forschungsergebnissen kategorisiert. Von den verbleibenden Straßennamen haben 29 (inklusive der Dopplungen Leutweinstraße/Leutweinplatz sowie Togostraße/Togoplatz)) fachlich ermittelt einen historisch eindeutigen Bezug zum Kolonialismus.

Weiteres Verfahren in Bezug auf eine Gesamtstudie

Straßenschild Nachtigalstraße
Foto: Tristan Vankann

Als Ergebnis der in der Kulturbehörde geleisteten Vorarbeiten und dieser Studie lässt sich festhalten, dass nun eine umfassende Auflistung aller Straßennamen in der Hansestadt Bremen mit definitivem kolonialem Bezug vorliegt. In einem späteren Schritt soll eine vertiefende Studie erstellt werden, welche sich nach einer umfassenden historischen Recherche weiterer verbleibender Straßennamen annimmt. In einigen Fällen, so zum Beispiel bei der Frage nach etwaiger kolonialer Plantagenwirtschaft Bremer Kaffeefirmen, sind voraussichtlich zeitaufwändigere Archivrecherchen unumgänglich. Auch müsste noch weiter erörtert werden, ob auch Profitierende des nicht-deutschen Kolonialismus (so zum Beispiel durch Kaffeeplantagen in den britischen Kolonien bis in die 1960er Jahre) als problematische Namensgebende anzusehen sind.

Als Ergebnis der Recherchearbeit werden jetzt sukzessiv Erläuterungstexte zu den historischen Hintergründen der einzelnen Namensgeberinnen und Namensgeber erstellt werden, welche diese in den Kontext der Ausbeutungs- und Gewaltherrschaft des (deutschen) Kolonialismus verorten. Diese kontextualisierenden Texte finden sich hier (weiterführende Texte liegen vor, wenn Straßennamen verlinkt sind):

Text von: Dr. Hanno Balz, Historiker, in Abstimmung mit der Landeszentrale für politische Bildung und dem Senator für Kultur

Bremen, 16. Juni 2025

Dr. Hanno Balz, geboren in Bremen, ist ab September 2025 als Historiker am Deutschland Institut an der Universität Amsterdam tätig. Nachdem er an der Universität Bremen im Bereich Zeitgeschichte promoviert hatte, lehrte er nicht nur in Bremen, sondern auch an den Universitäten in Lüneburg, Baltimore und Cambridge. Seine Forschungsgebiete umfassen die Geschichte sozialer Bewegungen, Lokalgeschichte, sowie die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust. Seit vielen Jahren engagiert er sich in der Erinnerungspolitik in Bremen und darüber hinaus. So hat er unter anderem ein Buch zu den sogenannten "Arisierungen" jüdischer Häuser in Bremen geschrieben und verfasste bereits 2012 ein Gutachten zur NS-Belastung von Straßennamensgebern in Bremerhaven.

Ausführlicheres lässt sich auf hier finden:

Quellennachweise

(1) Verena Ebert, Koloniale Straßennamen. Benennungspraktiken im Kontext kolonialer Raumaneignung in der deutschen Metropole von 1884 bis 1945, Berlin/Boston 2022, S. 10.

(2) Matthias Frese, "Straßennamen als Instrument der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur. Fragestellungen und Diskussionspunkte", in: Matthias Frese (Hg.), Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012, S. 9 - 20, S. 9.

(3) Siehe hierzu: Frese, 2012; Rainer Pöppinghege, "Geschichtspolitik per Stadtplan. Kontroversen zu historisch-politischen Straßennamen", in: Frese, 2012, S. 21-40; Marianne Bechhaus-Gerst, "Koloniale Spuren im städtischen Raum", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 27.9.2019.