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Dietrich Schäfer (1845 – 1929)

Bei dieser Lage ist es selbstverständlich, daß nur tüchtige, leistungsfähige Völker kolonisieren können. Das eigene Volkstum hinauszutragen in die Fremde, es dort zu behaupten und zu verbreiten, erfordert kriegerische, wirtschaftliche, geistige, sittliche Überlegenheit, meistens all dies zugleich. (...)
Ebendeshalb kann man Kolonisation auch als einen Kulturträger ersten Ranges bezeichnen, den vornehmsten von allen, welche die Geschichte kennt. Mit ihr und durch sie vollzieht sich eine Auswahl unter den Völkern. Nur die besten bleiben auf dem Plan.

(Dietrich Schäfer, Kolonialgeschichte, 3. Auflage, Leipzig, 1910, Seite 10-11)

Dietrich Schäfer wuchs zunächst in ärmlichen Verhältnissen an der Bremer Schlachte auf. Aufgrund seiner schulischen Leistungen und der Förderung durch den Bremer Reeder H.H. Meier konnte er den Lehrerberuf ergreifen und promovierte anschließend im Fach Geschichte an der Universität Göttingen. In den folgenden Jahren lehrte Schäfer an den Universitäten Jena, Breslau, Tübingen, Heidelberg und wurde schließlich auf eine prestigeträchtige Professur an die Berliner Universität berufen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Werke des deutsch-nationalen Historikers, vor allem seine zweibändige "Deutsche Geschichte", in konservativen Kreisen viel gelesen.

Darüber hinaus engagierte sich Schäfer auch publizistisch in den revanchistischen und völkischen Vereinen, die sich eine aggressive Außenpolitik und koloniale Expansion auf die Fahnen geschrieben hatten: so im Flottenverein, in der Deutschen Kolonialgesellschaft, im antisemitischen und rassistischen Alldeutschen Verband und im Deutschen Ostmarkenverein. Während des 1. Weltkrieges war er neben seiner beratenden Tätigkeit für die deutsche Heeresleitung zudem maßgeblich an der Gründung der rechtsradikalen Deutschen Vaterlandspartei beteiligt, die sich eine deutsche Diktatur und einen "Siegfrieden" herbeifantasierte.

Die Dietrich-Schäfer-Straße
Foto: Tristan Vankann

Dabei war Schäfer nicht nur ein politisch aktiver, völkisch-rassistischer Historiker, sondern galt vielmehr auch "als Medienstar" der Wissenschaften im Kaiserreich, wenngleich er auch umstritten war. Heute würde man ihn wohl als "Public Intellectual" bezeichnen. In seinen Schriften zur Geschichte Deutschlands und insbesondere des Kolonialismus entpuppte er sich als überzeugter Vertreter einer sozialdarwinistischen Ideologie, nach der die "stärksten" Völker berechtigt seien, sich alle anderen zu unterwerfen. Dementsprechend ist die Leitlinie seiner Geschichtsauffassung die "Überlegenheit der germanischen Rasse", wie er beispielweise schrieb. Und so sahen die Nationalsozialisten Schäfer bald als einen ihrer Vorkämpfer, auch wenn er bereits vier Jahre vor deren Machtübernahme starb.

Seiner Heimatstadt Bremen blieb Schäfer auch in späteren Jahren noch verbunden. Hier gründete er beispielsweise 1910 die nach seinem Förderer benannte "H.H. Meier-Stiftung für Stipendienzwecke", die auch heute noch besteht. Bis in die 1930er Jahre wurde der Historiker durch die Stadt Bremen vielfach geehrt, zuletzt durch den Beschluss des Senats im Jahr 1938, eine Straße nach ihm zu benennen.

Letztendlich lässt sich feststellen, dass Schäfer in seiner Zeit so etwas wie einen politischen "Mainstream" abbildete, ähnlich wie auch sein Lehrer, der antisemitisch-nationalistische Historiker Heinrich von Treitschke. Dies stellt aus heutiger Sicht aber keine Entschuldigung für seine rassistische Propagierung und Unterstützung des deutschen Kolonialregimes dar. Dessen Opfer waren Schäfer nie eine Zeile wert gewesen.

Text: Dr. Hanno Balz, Historiker, in Abstimmung mit der Landeszentrale für politische Bildung und dem Senator für Kultur