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  • Kommentar von Staatsrätin Carmen Emigholz zur Kunstfreiheit

Die Verteidigung der Kunstfreiheit ist keine Nebensächlichkeit

Carmen Emigholz über Grundwerte

Wir leben in wahrhaft unübersichtlichen Zeiten. Weltweit kommt es zu spürbaren Erschütterungen lang gefestigter demokratischer Grundwerte. Zu diesen zählt auch der Schutz der Kunstfreiheit. Ein Recht, das zu den hochrangigsten in unserer Verfassung gehört. Dies hat gute Gründe, die auf die schrecklichen Erfahrungen in Zeiten des Nationalsozialismus zurückgehen. Die Diffamierung von Künstlerinnen und Künstlern und ihrer Werke als entartete Kunst, Berufsverbote, Bücherverbrennungen und Beschlagnahmungen waren konstituierend für den Machterhalt eines Unrechtsregimes, ebenso die Einschränkungen eines kritischen und unabhängigen Journalismus.

Nicht nur damals, sondern auch heute gilt, dass extremistische Regime häufig mit der Einschränkung der Freiheitsrechte, insbesondere der Kunst- und Meinungsfreiheit, beginnen, um kritische Stimmen zu unterdrücken, und später folgt die Verletzung der Menschenrechte. So ist der Status der Kunstfreiheit auch immer ein Seismograf für die Verfasstheit eines demokratischen Systems.

Aber auch die Freiheit der Künste findet selbstverständlich dort Einschränkungen, wo ebenfalls hochrangiges Verfassungsrecht betroffen ist. Sollten künstlerische Produktionen die Menschenwürde und von den Grundrechten geschützte Persönlichkeitsrechte antasten, weil sie als beleidigend oder diskriminierend aufgefasst werden können, kann selbst ein so hochrangiges Freiheitsrecht wie die Kunstfreiheit eingeschränkt werden. Deshalb ist es notwendig, diese wichtigen Rechtsgüter bei der künstlerischen Arbeit abzuwägen. Die Auseinandersetzung über schwierige Grenzfragen ist geboten, sollte aber nicht dazu verführen, persönliche Profilierungsversuche Einzelner in der Diskussion vor die Sache zu stellen. Das Verfassungsrecht schützt die in ihren Grundrechten verletzten Menschen und setzt damit für die Anwendung das Prinzip der individuellen Betroffenheit voraus.

Wir schützen mit der Kunstfreiheit nicht nur die künstlerische Produktivität, sondern auch eine Demokratie, die der Selbstbestimmung des Menschen verpflichtet ist. Dieser Verantwortung sind wir uns jeden Tag in unserem Tun bewusst. In der Arbeit unseres Hauses, der Kulturbehörde, heißt das, dass wir uns dieser Thematik nicht nur intern stellen, sondern auch interessierte Bürgerinnen und Bürger im Herbst zu einem öffentlichen Diskurs einladen werden. Für mich gilt, Menschen, die für die Kunstfreiheit eintreten, beweisen deutlich mehr als „Gratismut“.

Unsere Gastautorin
ist seit 2007 Kulturstaatsrätin der Freien Hansestadt Bremen. Sie gehört den Bundesvorständen des Kulturforums der Sozialdemokratie und der Kulturpolitischen Gesellschaft an.

Barrierefreies Transkript: Gastkommentar von Carmen Emigholz in den Bremer Nachrichten vom 10.7.2018