Die Untersuchung und Neuinterpretation von Kunstwerken und Denkmälern hört nie auf. So liefern aktuelle gesellschaftliche Fragen immer wieder Anlässe, sich abermals mit der Entstehungsgeschichte sowie der Aussage dieser Zeitzeugnisse zu beschäftigen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Kolonialismus-Debatte erhält auch das Wandmosaik in der Eingangshalle des Bremer Hauptbahnhofes derzeit erhöhte Aufmerksamkeit. Aufgrund der prominenten Lage im öffentlichen Raum verwundert es, dass bisher so gut wie keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wandbild stattgefunden hat.
Bekannt ist, dass das Wandbild 1957 als Werbung für die Bremer Zigarettenfabrik Martin Brinkmann AG nach einem Entwurf des belgischen Künstlers Alexandre Noskoff (1911-1979) ausgeführt wurde. Das über zwanzig Meter breite Mosaik war in der Steingutfabrik Grünstadt gefertigt worden und soll damals eines der weltweit größten keramischen Mosaike gewesen sein. Mit dem Titel "Aufbruch" illustrieren die zusammengesetzten farbigen Majolika-Schmuckfliesen, wie der Tabak aus fernen Ländern nach Bremen kam. Vermutlich als Gegenleistung für Renovierungen im Hauptbahnhof, die der Tabakkonzern finanziert hatte, wurde das insgesamt 88 Quadratmeter umfassende Tableau oberhalb der Anzeigetafel in der Haupteingangshalle des Hauptbahnhofes angebracht. Die unmittelbare, zielgerichtete Werbung für die damals größte Tabakfabrik auf dem europäischen Kontinent ist dabei auf einen dezenten Schriftzug: "Brinkmann Tabak" reduziert, der auf einem Lagerfass im Bild zu lesen ist.
Nach Kündigung des Werbevertrags wurde die Wandkeramik bereits in den 1960er Jahren durch eine Putzschicht und Leuchtreklame verdeckt und erst bei Sanierungsarbeiten um die Jahrtausendwende wiederentdeckt, als im Zuge der Rekonstruktion des historischen Innenraumes vermauerte Fensterachsen geöffnet werden sollten. Nach der Freilegung wurde der Denkmalwert des Mosaiks aufgrund des künstlerischen Entwurfes, der qualitätvollen Herstellung und Umsetzung sowie seines besonderen Dokumentationswerts für die Geschichte Bremens, die eng mit dem Tabakhandel verbunden ist, offensichtlich. Obwohl die Beseitigung des Mosaiks bereits beschlossen war, konnte es glücklicherweise erhalten, als Bestandteil des Baudenkmals Bahnhof geschützt und restauriert werden. Seither kann es wieder tagtäglich von tausenden Besuchern der Hansestadt Bremen wahrgenommen werden.
Das Mosaik im Bremer Hauptbahnhof wird vom unvoreingenommenen Betrachter im schnellen Vorbeigehen zunächst nur assoziativ wahrgenommen: In seiner Teilung vergleichbar mit einem dreiflügeligen Altarbild stellen die äußeren Tafeln Tabakanbaugebiete in Übersee dar und rahmen eine Szene des bremischen Stadthafens im Zentrum. Bei näherer Betrachtung ist jedoch zu erkennen, dass durch die Dreiteilung ein Narrativ geschaffen wird, dass die Produktion, die Verarbeitung und den Transport des Tabaks nach Bremen erzählt und zugleich auf die Bedeutung Bremens als damals größten Tabakumschlagplatz Europas hinweist.
Einzelne Szenen sind symbolhaft dargestellt: So steht im linken Bild außen ein Tabakbauer, der einen Stab über der Schulter trägt, an dem Tabakblätter zur Trocknung und zum Transport hängen. Aufgrund der Physiognomie des Bauern und der länglichen Tabakblätter, die in Bündeln zusammengehalten werden, kann angenommen werden, dass hier das Land Indonesien versinnbildlicht ist, da von Sumatra und Java der Tabak nach Bremen gelangte. Die Bekleidung mit einem hellen Rockgewand könnte auch auf einen "Kuli" weisen, denn diese typische Arbeitskleidung wurde von ungelernten Lohnarbeitern aus China getragen, die in dieser Zeit im Tabakanbau in Sumatra und Java beschäftigt waren.
Daneben befindet sich, auf dem Boden kniend, eine Tabakfarmerin aus dem Orient. Dies ist erkennbar an einem Säulenkapitell, das sich hinter ihr befindet, sowie an den kleinen runden Tabakblättern, die sie zum Trocknen auf einen Stab zieht. Die Arbeiterin hebt ein rundes Tabakblatt auf Augenhöhe in Richtung der sich darüber befindlichen Sonne, ganz so, als würde sie die Qualität der Pflanze oder deren Trocknung überprüfen. Die Sonnentrocknung der gereihten Tabakblätter war typisch für die Herstellung von Orient-Tabak und ein besonderes Erkennungsmerkmal.
Über den im linken Bildteil dargestellten Ländern Asiens und des Orients ist auf dem Mosaik die Sonne dargestellt, deren Energie für die Trocknung und Lagerung der Tabakpflanzen in diesen Ländern eine besondere Bedeutung spielte. Daneben ist ein Esel zu erkennen, der sich zum Mittelteil des Gesamtbildes hinzubewegen scheint. Er trägt auf dem Rücken einen Korb mit Tabakblättern. Sowohl im Orient als auch in Asien wurden traditionell Lastentiere für den Transport des Tabaks eingesetzt.
Auf der rechten Bildtafel ist ganz außen eine große blühende Tabakpflanze aus Virginia dargestellt. Daneben ist ein dunkelhäutiger Mann zu sehen, der ein großes Tabakblatt dieser Pflanze in beiden Händen hält. Ähnlich wie die Tabakbäuerin aus dem Orient scheint auch dieser Arbeiter die besondere Qualität des Tabakblattes zu prüfen. Der amerikanische Virginia-Tabak hatte eine besondere Bedeutung für den Brinkmann-Konzern, auf die noch ausführlicher einzugehen ist. Auch wenn der Tabakarbeiter in einem Zeitungsartikel der Karibik zugeordnet wurde, ist anzunehmen, dass es sich hier um einen Vorarbeiter auf einer Tabakfarm in den amerikanischen Südstaaten handelt. Die Tabakpflanze aus Virginia und auch die blaue Hose, die als Blue Denim Jeans eine typische Arbeitshose dieser Zeit war, unterstützen diese Vermutung.
Neben dem amerikanischen Plantagenarbeiter ist am linken Bildrand mit bunten Majolika-Fliesen eine seitlich sitzende Figur in traditionellem südamerikanischem Gewand dargestellt. Sie hält ein gedrehtes Tabakblatt in der linken Hand, welches sie zu rauchen scheint. Von diesen Rauchrollen, die den Bewohnern Südamerikas zur Anbetung ihrer Götter dienten, wurde bereits bei der Entdeckung Amerikas berichtet. Hier war der Gebrauch der "Tabagos" und "Cigaros", wie die Spanier die Rollen bezeichneten, bereits üblich. Die Figur trägt einen Kopfschmuck, der mit einem goldenen runden Medaillon bekrönt ist und sich auch als Ohrschmuck wiederfindet. Dahinter ist eine farbige Federkrone erkennbar, deren Farben auch im bunten Kleiderrock aufgenommen sind. Über der rechten Schulter ist ein Umhang aufgelegt, der den Arm verdeckt. Aufgrund des Goldschmuckes, der Gemeinsamkeiten zum traditionellen Ohr- und Kopfschmuck in Peru aufweist, kann vermutet werden, dass hier das Land Peru versinnbildlicht ist.
Über der Figur ist ein Raddampfer dargestellt, wie er als Fracht- und Passagierdampfer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch den unregulierten Strömen der Flüsse in Südamerika und Afrika standhielt. So, wie der Esel im linken Bildteil für den Transport des Tabaks auf dem Landweg steht, symbolisiert der Raddampfer den weiteren Transfer über die Flüsse bis an das Meer. Im großen Mittelbild leitet dann ein Segelschiff zur Ankunft in den "Heimathafen" Bremen über. Das dargestellte Vollschiff weist dabei die gleichen Farben auf wie die SCHULSCHIFF DEUTSCHLAND, ein ehemaliges Segelschulschiff der deutschen Handelsschifffahrt, das die angehenden Matrosen in der seemännischen Praxis unterwies. Es könnte als Anspielung auf die nautische Ausbildung in Bremen ein beabsichtigt vertrautes bremisches Narrativ sein.
Ähnlich plakativ wie die äußeren Bildteile liest sich das zentrale Mittelstück des Mosaiks, das eine Szene aus den stadtbremischen Häfen darstellt: Dass wir uns unzweifelhaft in Bremen befinden, zeigt sich ganz rechts anhand der Bremer Stadtmusikanten, die durch die Märchen der Gebrüder Grimm schon damals weit über die Grenzen Bremens als Bremer Wahrzeichen bekannt waren. Die Katze schaut in dieser Darstellung nicht wie die anderen Tiere geradeaus, sondern blickt aus dem Bild heraus zum Betrachter und schafft dadurch eine besondere Verbindung zum Bild. Neben den Stadtmusikanten sind weitere architektonische Wahrzeichen der Stadt Bremen dargestellt: Ganz links ist ein Speichergebäude erkennbar, das Gestaltungsmerkmale des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kornhauses in der Langenstraße aufweist. Das Kornhaus war 1591 im Stil der Weserrenaissance als städtischer Getreidespeicher errichtet worden, bevor es zuletzt als Packhaus an Kaufleute vermietet wurde. Daneben befinden sich weitere Speicher, die dem Roseliushaus in der Böttcherstraße ähneln, sowie der St. Petri Dom und der Schütting.
Im Bildzentrum ist ein Stückgutfrachter als damals modernster Frachtschifftyp auf der Weser zu sehen. Der erst 1887 als Freihafen errichtete bremische Stadthafen war bis zum Einzug des Container-Transportes im Jahre 1964 ein klassischer Stückgut-Hafen. Die Waren wurden direkt von den Schiffen in Lagerhallen transportiert oder konnten durch einen Eisenbahnanschluss vom Schiff auf Güterwaggons geladen werden. Durch dieses "Bremer System" hatte sich der Hafen Bremens zum Welthafen entwickelt. Auf dem Mosaik zu sehen sind drei für die Fünfziger Jahre typische Halbportalkräne vor einem Speicher, wie er für die Zwischenlagerung der Stückgutwaren Kaffee, Baumwolle oder Tabak hinter den Gleisen errichtet worden ist und hier als einfache backsteinsichtige Halle mit flachem Satteldach dargestellt wurde.
Vor diesen Hafenschuppen ist ein großes Bündel mit ausgebreiteten Tabakblättern zu sehen und auch ein großes rundes Fass. In solchen Lagerfässern wurde u. a. der Virginia Tabak nach Bremen transportiert. Wie bereits beschrieben, ist auf dem Fass "Brinkmann Tabak" zu lesen. Bei der Freilegung des Mosaiks im Jahre 1999 war der Schriftzug nicht zu sehen. Wann und warum dieser übermalt wurde, ist nicht belegt.
Neben dem Fass ist ein Mann dargestellt, der eine dunkle Hose, ein gestreiftes Oberteil und eine dunkelblaue Mütze trägt. Angesichts des Segelschiffs im Bildhintergrund ist anzunehmen, dass es sich dabei um einen Seemann handelt. Er ist als zentrale Figur der Hafenszene zu sehen. Interessant ist, dass die klassische Matrosenuniform in Deutschland, die ab 1884 von Prinz Albert von Preußen mit einem weißen Hemd mit blauem Brustlatz sowie einer weißen Mütze festgelegt wurde, von dieser Darstellung abweicht. Das gestreifte Oberteil könnte vielmehr ein Breton-Shirt darstellen, das im 19. Jahrhundert für die in der Bretagne stationierte französische Marine entworfen wurde, zuerst unter Matrosen und Seefahrern in Nordfrankreich und später in ganz Europa Verbreitung fand. Die Streifensymbolik geht wohl auf die siegreiche napoleonische Flotte zurück, hatte aber auch den Vorteil, dass der Kontrast der Streifen für eine gute Erkennbarkeit bei einem möglichen Schiffbruch sorgte. Die dunkle Mütze mit einer erkennbaren Bommel könnte zudem auf ein französisches "Pompon" zurückgehen, welches zu der Kopfbedeckung von Militäruniformen gehörte, wie sie auch Matrosen der französischen Marine trugen. Durch die Farbe des Pompons wurde die Zugehörigkeit zu einem speziellen Regiment ablesbar. Dies unterstützt die Vermutung, dass hier tatsächlich ein französischer Matrose dargestellt ist. Da diese auch in den Tabakhandel und Transport eingebunden waren, ist er wie die anderen dargestellten Personen ein wichtiger Bestandteil des Bildnarrativs, welches die Geschichte und den Weg des Tabaks aus der fernen Welt in den Heimathafen Bremen erzählt.
In seiner linken Hand hält der Matrose eine Maske die im "Tabakblatt", der Zeitschrift des Brinkmann-Unternehmens, als "afrikanische Maske" bezeichnet wird. (1) Es ist belegt, dass Kaufleute und auch das Schiffspersonal von ihren Reisen Souvenirs mitbrachten. In Übersee wurden damals insbesondere Kunstrepliken günstig für den Verkauf angeboten. (2) Als ein Andenken an exotische Länder und fremde Kulturen kann die Maske hier symbolhaft erläutern, wie mit dem Tabak auch fremde Kunst und Kultur nach Bremen gelangte. Die Pfeife in seinem Mund ist ein Attribut des Seemanns und war ursprünglich noch markanter inszeniert. Denn auf Fotografien vor der Restaurierung des Bildes ist erkennbar, dass ursprünglich der Rauch der Pfeife stärker kontrastiert und damit viel deutlicher erkennbar war. Bei der Restaurierung des Mosaiks wurde dieses Bilddetail verändert und deutlich zurückgenommen, so dass er heute nicht mehr zu sehen ist.
Neben dem Matrosen ist außerdem ein großes längsrechteckiges Bündel dargestellt, auf dem die Bezeichnung MB (für Martin Brinkmann) sowie die Ziffer 2336 zu sehen ist. Gemeint ist hier vermutlich ein Tabakpaket aus Indonesien, da es dort üblich war, Tabakblätter in aus Korb geflochtenen oder auch aus Leder zusammengenähten Paketen zu transportieren, während die Nummer auf dem Paket wahrscheinlich auf die Provenienz oder die Qualität des Tabaks verweist.
Bremen war seit dem 17. Jahrhundert ein Handelsplatz für Rohtabak gewesen und hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum für die Einfuhr und den Vertrieb zuerst nordamerikanischer und, nach der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, überwiegend südamerikanischer Tabake entwickelt. 1878 war Bremen der führende Tabakmarkt Deutschlands: Über 3/5 des deutschen Bedarfs an Tabak wurde damals über Bremen eingeführt. In diesem Jahr verkaufte der Kaufmann Nicolaus Wilkens seine 1813 gegründete Zigarrenfabrik in Bremen-Burglesum an den Kaufmann Martin Brinkmann, die sich anschließend "Martin Brinkmann Tabak" nannte. 1900 erwarb ein Mitarbeiter Brinkmanns, Hermann Ritter, mit gerade erst 22 Jahren das Tabakunternehmen und verlegte den Firmensitz nach Woltmershausen. Zwischen 1924 und 1929 ist eine wirtschaftlich äußerst erfolgreiche Zeit des Unternehmens, als die Firma Martin Brinkmann, insbesondere durch den Tabakhandel mit den USA, den Umsatz vervielfachte und zu Europas größtem Rauchtabakproduzenten aufstieg. Die besondere Bedeutung Nordamerikas für den Brinkmann-Konzern ist im Mosaik vor allem in dem Plantagenarbeiter ablesbar, der die Qualität des Brinkmann-Tabaks prüft.
Eine besondere Weitsicht entwickelte der Sohn Hermann Ritters, Wolfgang Ritter (1905-1993). Wolfgang Ritter begann bereits im Alter von 17 Jahren als jüngster Mitarbeiter bei der Firma Martin Brinkmann. Als 19-jähriger reiste er 1924 nach Nordamerika, bestimmte dort die besten Provenienzen für einen direkten Import von Tabak aus Amerika, lernte Wichtiges über die Maschinen-Fermentation von Rohtabak und setzte dann in den Jahren nach seiner Rückkehr den Impuls für den Wandel von der Zigarren- zur Zigarettenproduktion. Martin Brinkmann führte 1930 als eine der ersten Tabakfabriken in Deutschland, wo die Herstellung von Zigaretten in Handarbeit in kleinen und mittleren Betrieben noch überwog, die industrielle Produktion von Zigaretten ein. Mit den Marken "Fatima", "Lloyd" und "Alva" wurde Brinkmann neben Reemtsma und Haus Neuerburg schnell zum drittgrößten Zigarettenhersteller Deutschlands.
Während der Zeit des Nationalsozialismus gehörte die Firma Martin Brinkmann zu den Gewinnern, die Firma expandierte enorm am Standort Woltmershausen, der zu einer vollständigen Zigarettenfabrik ausgebaut wurde. Als Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) kooperierte Hermann Ritter mit dem Regime und ließ in der besetzten Ukraine vor allem von Zwangsarbeitern Tabak anbauen, um die Deutsche Wehrmacht mit Tabak- und Zigarettenwaren zu versorgen. Bisher steht eine Aufarbeitung dieses Zeitabschnittes der Firmengeschichte noch aus.
Als 1943 die Büros in Berlin - seit 1936/1937 war die Verwaltung in der Hauptstadt - zerstört wurden, zog die Verwaltung um nach Bayern. Nach Kriegsende erfolgte dann die Enteignung der Firma und die Verwaltung durch einen Treuhänder. Wolfgang Ritter wurde bei der Entnazifizierung als "Mitläufer" eingeschätzt und übernahm 1948 den Wiederaufbau der Firma. Durch die Fusion mit der Münchner Zigarettenfabrik seines Schwagers Friedrich Kristinus, die Übernahme der Berliner Zigarettenfabrik Muratti und den Zusammenschluss mit der amerikanischen Weltfirma Philip Morris entwickelte sich Brinkmann nach dem Krieg zum drittgrößten Tabakkonzern in Deutschland. Der Titel des Mosaiks "Aufbruch" spiegelt diese Blütezeit des Konzerns Ende der 1950er Jahre wieder. Mit den Marken "Texas", die den Aufdruck "American Blend" erhielten, der "Lux Filter" und "Peer Export", die sich im Ausland zu der meistgerauchten deutschen Zigarette etablieren sollte, rückte Brinkmann bis 1961 vor auf den zehnten Platz der Weltproduktion von Tabak.
Einen guten Einblick in die Symbolhaftigkeit der im Mosaik dargestellten Szenen bietet eine Bildkarte, die 1957 von der Martin Brinkmann GmbH erstellt wurde. Sie war nicht nur als Werbung für den Verkauf gedacht, sondern sollte auch für Ausbildungszwecke genutzt werden und wurde 1957 im "Tabakblatt", der Zeitschrift des Brinkmann-Konzerns, veröffentlicht. Mit dieser Tabak-Lehrbildkarte sollten "grundlegende Kenntnisse" über "das Naturprodukt und Genußmittel" Tabak vermittelt werden. Sie zeigt die unterschiedlichen Provenienzen, die Blattgruppeneinteilung, nach der die Ernte in Stufen erfolgte, die Verpackungen der Rohtabake für den Transport in den einzelnen Ländern sowie eine Entwicklungsgeschichte der "Rauchgeräte". Den Mittelpunkt bildet eine kartografische Darstellung der Tabak-Anbaugebiete, aus der sich ablesen lässt, woher der Tabak nach Bremen kam. Die drei Hauptlieferanten Brinkmanns sind unter den Anbaugebieten weltweit mit kleinformatigen Bildern "USA", "Orient" und "Java" hervorgehoben. Eine ähnliche Einteilung der Länder, verbunden mit einer Darstellung des Tabaks von den kleinen rundlichen Blättern des Orient-Tabaks, über die länglichen Blätter des Sumatra Tabaks bis hin zur großen Virginia Tabakpflanze findet sich gleichermaßen auch auf dem Mosaik in der Bahnhofshalle wieder. So lässt sich fast das komplette Bildprogramm auch heute noch auf die Firmengeschichte übertragen und zuordnen.
In den Ausgaben des "Tabakblatts" finden sich oft Szenen, wie sie auch auf dem Mosaik dargestellt sind: So ist auf dem Titelblatt 1958 eine Mazedonische Tabakbäuerin abgebildet, die an einer Schnur zusammengebundene Tabakblätter trägt. Auch das Entladen des Tabaks am Überseehafen mit Matrosen und Schiffen ist ein häufig verwandtes Motiv. Gleichzeitig informieren die Artikel im "Tabakblatt" über die Historie des Tabaks und die Firmengeschichte Brinkmanns, geben Einblicke in bestimmte Arbeitsprozesse und beleuchten auch die besondere Rolle von Frauen in der Tabakverarbeitung. (3)
Interessant sind auch die Werbeplakate von Martin Brinkmann aus dieser Zeit, die weitere Hinweise für die Entschlüsselung der Bildsprache des Mosaiks geben: So ist auf der Werbung der "Cigarette Texas Mild" aus dem Jahre 1952 ein großes Virginia Tabakfass zu sehen. Darüber steht geschrieben: "Die süssesten und mildesten Tabake kommen aus Virginia." Im Werbetext wird auf das besondere "Sun-Mellowing" Verfahren, die "fachkundige Hand" und besondere "Sorgfalt" verwiesen. Auch ältere Werbeinhalte, wie das Bild eines Matrosen mit einer Pfeife im Mund, wie sie für den Pfeifentabak "Blinkfeuer" auf einem Reklameschild in den 1920er Jahren verwendet wurde, finden sich im Mosaik wieder. Da Brinkmann insbesondere als Pfeifentabakproduzent auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken konnte, wird hier nicht nur auf die Historie des Unternehmens verwiesen. Der Pfeife rauchende Matrose als Seefahrer und Abenteurer sollte bestimmt auch das Fernweh suggerieren und wecken.
In Auseinandersetzung mit den dargestellten Szenen und der älteren, d. h. vor dem Zweiten Weltkrieg von Brinkmann genutzten Werbung wird deutlich, dass die enge Verbindung von Tabak mit der Kultur und den Menschen aus den fremden Ländern zum Ausdruck gebracht werden soll. So ist beispielsweise auf der Kavalla Tabakdose ein Feinschnitt aus Orient-Tabaken und ein mit Tabakpaketen beladenes Kamel illustriert. Ein Werbeaufsteller für "Olanda Brinkmann Tabak" zeigt um 1925 einen Pfeife rauchenden Mann mit orientalischer Kopfbedeckung vor einer Moschee. Ähnlich stereotype Darstellungen für die Werbung sind auch für viele weitere Firmen, die in dieser Zeit Produkte aus fernen Herkunftsländern verkauften, typisch und insbesondere für Kaffee, Tee und Schokolade allgemein bekannt. Hiermit sollte vor allem das mit diesen Bildern verknüpfte "Fremde" und "exotisch" Wirkende versinnbildlicht werden. Im Vergleich dazu sind die im Mosaik dargestellten Figuren zurückgenommen und der Bildsprache der 1950er Jahre verhaftet. Die gesellschaftlichen Veränderungen der folgenden Jahre sind auch in der Werbung Brinkmanns u. a. durch die Aufnahme von Alltagsszenen und Schauspielern, die eine Veränderung des Bildprogrammes bewirkten, ablesbar.
Die Firma Martin Brinkmann wollte mit dem Wandbild im Hauptbahnhof mehr als nur Werbung darstellen. Das wird in dem Artikel "Kunst und Werbung" deutlich, der 1958 im "Tabakblatt" erschien (Tabakblatt, Heft 1, 1958) und sich mit dem neu geschaffenen Mosaik im Bremer Hauptbahnhof beschäftigte. Auf dem Titelbild dieser Ausgabe ist der Künstler Dieter Wallert (1935-1988) in seinem Atelier in Worpswede zu sehen, wie er Pfeife rauchend zeichnet. Diese Ausgabe war, so wird deutlich, insbesondere der Kunst gewidmet. In dem Artikel heißt es zum Mosaik im Hauptbahnhof: "Der Inhalt der Felder liest sich nicht als Illustration zu einem Webeslogan, sondern weckt gedankliche Vorstellungen, wendet sich an die Phantasie: Das Sonnensymbol über den Tabakländern der Alten Welt, über den Tabakarbeitern und dem griechischen Säulenkapitell, die südamerikanische Gottheit mit der bunten Federkrone und der blühenden Tabakpflanze. Das Aroma tropischer Fernen, die Mythe uralter Rauchkultur wird beschworen, sie wirkt mit den Seglern und Frachtern der überseeischen Handelswege ein auf den Bildern des Innenbildes. Hier winkt der Matrose mit einer afrikanischen Maske, hier umranden Kräne und Schuppen den Hafen, über dem die heimatlichen, die vertrauten Sinnbilder Bremens wachen, die Türme des Domes, die Schüttingfront, die Packhäuser, die Speicher. Der Tabak ist zu Hause - begrüßt von den alten, ewig-jungen Bremer Stadtmusikanten. Die Werbung beschränkt sich auf die Beschriftung eines Tabakfasses - zurückhaltend und doch in dieser Bescheidung unübersehbar." (…) Weiter schreibt Dr. Werner Kloos (1909-1990), damals Direktor des Bremer Focke-Museums und Bremer Landeskonservator in Personalunion: "Es bleibt vor allem die sympathische Ein- und Unterordnung des Werbezwecks unter den Rang des Kunstwerkes. Der neue Schmuck des Bremer Hauptbahnhofes darf darum als eine echte Kunstförderung, als eine begrüßenswerte Leistung bremischen Mäzenatentums angesehen werden, die dem Hause BRINKMANN zu Ehre gereicht und der Rolle des Tabaks in der bremischen Handelsgeschichte einst und jetzt würdig ist." Auf der großformatigen Abbildung in dem Artikel ist erkennbar, dass es Ende der 1950er Jahre möglich war, sich dem Mosaik über eine große umlaufende Empore zu nähern, direkt vor dem Mosaik zu stehen, zu verweilen und die Baukeramik im Detail zu betrachten. Die Bahnhofshalle war Anfang der 1950er Jahre mit dem Einbau eines Filmtheaters und einer darunterliegenden Imbisshalle umgestaltet worden. Den Abschluss dieser Modernisierungsmaßnahmen bildete die Wandgestaltung, die sich, so Kloos, stimmig in die bauliche Gestaltung einfügte: "Die Werbung stellt üblicherweise in einem solchen Auftrag ihre Bedingungen, und nur allzu häufig erliegt die künstlerische Aussage den präzisen logischen Sachverhalten moderner Propaganda. Diese Gefahr mußte um so größer sein an einem Orte, an dem trotz aller späteren Umbauten noch immer die architektonischen Stilmittel von 1889 regieren und wo sich das Kunstwerk zudem noch gegen eine Vielzahl anderer Werbemittel - farbige Leuchtschrift, Kioske, Plakate - behaupten muß. Alle diese Erschwerungen hat das neue monumentale Werk, dessen technische Herstellung von der bekannten Majolika-Fabrik Grünstadt (Pfalz) betreut wurde, vorbildlich bezwungen." Der hohe künstlerische Anspruch und die Qualität des Mosaiks wurden 1957 auch in der Tagespresse vom Weser Kurier und den Bremer Nachrichten so wahrgenommen, die das Bildwerk als einen "echten Schmuck der Bahnhofshalle" beschrieben.
Warum das Bild schon wenige Jahre später verdeckt wurde, bzw. der Werbevertrag mit der deutschen Eisenbahnreklame GmbH aufgekündigt wurde, ist nicht belegt. Vermutlich lag dies in der weiteren Entwicklung des Unternehmens begründet, das bereits 1957 erste Teile der Produktion nach Berlin verlegte und den Bremer Standort in den folgenden Jahren stetig verkleinerte. 1969 wurde die Brinkmann GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und die Aktienanteile durch den Rupert Konzern zwischen 1966 und 1972 aufgekauft. Es folgte in den 1980er Jahren die Verlegung weiterer Teile des Unternehmens nach Berlin sowie die Übernahme durch British American Tabacco (BAT) Ende der 1990er Jahre. Die Herstellung von Tabakprodukten bei Brinkmann wurde 2014 völlig eingestellt und die Firma Brinkmann selbst im Jahre 2021 aufgelöst.
Über Alexandre Noskoff (Носков, Александр Александрович) selbst ist nur wenig bekannt. (4) Er wurde am 29. August 1911 als Sohn des russischen Generals und Schriftstellers A. A. Noskow (1877-1953) in St. Petersburg geboren. 1917 flüchtete er mit seiner Familie aus Russland und gelangte als einziges Familienmitglied nach Frankreich, während der Vater zunächst in Berlin, die Mutter in London und die Schwester in Belgien lebten. Alexandre besuchte von 1924-1929 das Gymnasium in Turnai in Belgien, arbeitete anschließend als Zeichner in einer Fabrik in einem Brüsseler Vorort und begann 1932 in Turnai an der Akademie der Schönen Künste sowie am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie zu studieren. Parallel arbeitete er für die Druckerei J. Dutrieu et Co. in Turnai und für das Unternehmen Flamencourt in Brüssel.
Infolge einer Erkrankung zog er 1933 zu seinen Eltern nach Berlin. Er verbrachte ein Jahr im Sanatorium und trat anschließend der Berliner Akademie der Künste bei. Eine andere Quelle berichtet davon, dass Noskoff wohl auch unter Cesar Klein (1876-1954) studierte. Klein lehrte in Berlin Wand- und Deckenmalerei und widmete sich in seinen Werken insbesondere auch den Mosaiken. Stilistisch könnten hier Einflüsse auch auf das Bremer Wandbild angenommen werden.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Noskoff interniert und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. In den Jahren 1940-1943 war er im "Deutschen Verlag" in Berlin beschäftigt, führte eine Reihe von Wandmalereien aus und war anschließend in Wien als Keramikmaler tätig. 1946 lebte er in München und arbeitete mit amerikanischen und deutschen Jugendzeitungen zusammen, bevor er 1949 nach Belgien zurückkehrte und in der Spielzeugfabrik Unica in Courtrai angestellt war.
In den frühen 1950er Jahren arbeitete Noskoff mit der Jugendabteilung des Belgischen Roten Kreuzes zusammen, für die er eine Reihe von Plakaten und Kalendern anfertigte. In den 1950er und 1960er Jahren war er dann als festangestellter Künstler für die Brüsseler Tageszeitung Le Soir (Abend) beschäftigt und als Illustrator tätig. In den strahlenden Farben der Illustrationen Noskoffs können Bezüge zum Mosaik hergestellt werden.
In seiner Vita findet sich der unbelegte Hinweis, dass er Ende der 1950er Jahre in Saint-Tropez auf der Suche nach Mäzenen war und so auch der Kontakt zu einem Bremer Baron entstanden sei, der eine höhere Position bei Brinkmann innehatte. Ob sich auf diesem Weg der Auftrag zu dem Mosaik auftat?
Nach der Heirat mit Alla, die aus Belgrad stammte, und der Geburt der gemeinsamen Tochter Natascha wanderte die Familie später nach Amerika aus. Unter anderem fertigte Alexandre Noskoff dort monumentale Wandgemälde im French Hospital in San Francisco und im Museum of Egypt in San Jose, Kalifornien an. Ab den frühen 1960er Jahren hatte er einen Zweitwohnsitz in Köln und wurde hier nach seinem Tod im Dezember 1979 auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt.
Am Wandbild in Bremen sind insbesondere Noskoffs Erfahrungen als Illustrator und Bühnenbildgestalter zu erkennen. Leider finden sich zur Auftragsvergabe des Mosaiks keine Informationen, die Hinweise auf das Bildprogramm geben könnten, bzw. darauf, was Brinkmann bezüglich der Gestaltung der Werbung vorgab oder ob diese von Noskoff frei inszeniert und umgesetzt wurde. Mit Sicherheit lag dem Künstler jedoch Brinkmanns Bildlehrkarte als Vorlage vor. Durch sein frühes Studium am Institut für Geschichte und Archäologie war Noskoff außerdem mit der Darstellung historischer Figuren sowie Menschen anderer Kulturen vertraut. Diese detailgetreue Umsetzung ist u. a. an der Kleidung des chinesischen Lohnarbeiters ablesbar.
Französische Einflüsse lassen sich hingegen an der Abbildung des Seefahrers mit Breton-Shirt und Mütze mit französischen Pompon ablesen. Für die Darstellung der Maske verwendete Noskoff vermutlich ebenfalls eine konkrete Vorlage. In der Sammlung des Belgischen Royal Museum for Central Africa in Tervuren befinden sich Masken der Dan Kultur von der Elfenbeinküste, die eine Ähnlichkeit zur dargestellten Maske aufweisen. Sie könnten Noskoff durchaus bekannt gewesen sein. Auffällig ist, dass die Masken im Museum im Vergleich mit der Darstellung im Bremer Mosaik in der Farbgebung einfacher und schlichter gestaltet sind, während die Grundgestaltungselemente jedoch übereinstimmen. Ähnlich farbig gestaltet wie die Maske in Noskoffs Darstellung sind hingegen diejenigen Masken der Dan Kultur, die auch heute noch für den Kunstmarkt und ein Käuferpublikum angefertigt werden. Diese sind mit vielfältigen Materialien wie Muscheln und Pflanzen geschmückt, die den Maskenkopf farblich rahmen. Deutlich erkennbar sind im Mosaik die für diese Masken typische weiße, runde Augenpartie, der die Stirn teilende vertikale Streifen sowie der runde Mund. Dies unterstützt die bereits aufgeführte These, dass es sich bei der im Mosaik dargestellten Maske um ein für den Kunstmarkt hergestelltes Objekt handelt, das vom französischen Matrosen als Andenken mitgebracht wurde.
Dass Noskoff sich für das Bremer Mosaik intensiv der Ikonografie fremder Kulturen und passenden Bildvorlagen beschäftigt hatte, wird auch in der sinnbildlichen Darstellung der Gottheit Südamerikas deutlich. Kopf- und Ohrschmuck als auch Sonnenscheibe und Federkrone sind historisch als Attribute für Götter in Peru belegt. Im Unterschied zu den im Mosaik dargestellten, zeitgenössischen Personen, verweist diese Figur mit der Rauchrolle auf den historischen Kontext und die Geschichte des Tabaks in Amerika.
Leider sind auch im Archiv in Grünstadt keine Unterlagen zur Keramikproduktion oder weitere Hinweise auf das Mosaik in Bremen aufbewahrt. Die Steingutfabrik Grünstadt galt als marktführendes Unternehmen in den Zeiten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Mosaik in der Bahnhofshalle ist heute das einzig bekannte, noch erhaltene Keramikkunstwerk dieser Firma, die Ende der 1960er Jahre in Konkurs ging. Es veranschaulicht die hohe Qualität der Fabrikation und Ausführung der Steingutfabrik Grünstadt. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, wie passgenau die einzelnen, farbig leuchtenden Fliesen hergestellt sind, die in der Ferne optisch zu Bildern zusammenschmelzen.
In einer Aktennotiz aus dem Landesamt für Denkmalpflege Bremen aus der Zeit der Restaurierung um 1999 finden sich ungesicherte Informationen aus Grünstadt. Demnach übernahm Prof. Dr. Egler aus Karlsruhe und Keramiker an der dortigen Akademie die Aufsicht über die Herstellung der Fliesen für das Mosaik. Die Verlegung des Mosaiks erfolgte demnach durch eine Karlsruher Firma unter Gustl Blohm (1930-1994), der die Fliesen bemalte. In dieser Quelle heißt es auch, dass der Kontakt zum Künstler Alexandre Noskoff über Heinrich Kalau von Hofe (1903 -1988), dem Besitzer der Steingutfabrik Grünstadt, erfolgte. Woher die Verbindung stammen sollte, lässt sich jedoch nicht belegen.
Auch wenn sich nicht alle Fragen beantwortet lassen, kann das Bildprogramm und dessen Bedeutung aufgrund der plakativen Bildsprache entschlüsselt werden.
Heute werden die Szenen und dargestellten Menschen zum Teil als kritisch empfunden und hinterfragt. Im Weser Kurier online wurde am 19. Januar 2022 ein Videointerview und Artikel mit Virginie Kamche vom Afrika-Netzwerk publiziert, in dem Kamche erläutert, dass das Mosaik "Rassismus befeuert." "Denn neben Stadtmusikanten, Rathaus und Schifffahrt, zeigt das Mosaik auch, wie Bremen im Kolonialismus engagiert war - mit einem Schwarzen Plantagenarbeiter." Kamche fährt fort: "Das Wandbild bleibt ohne Einordnung - genau wie die Tabakfirma Brinkmann, die das Mosaik in den 1950er-Jahren gestiftet hat und in das NS-Regime verstrickt war." "Rassismus passiert auch unbewusst", sagt Kamche. Mit solch einem Bild würden Stereotype und Vorurteile von Unterdrückung aufrecht gehalten. "Wir müssen viel Aufklärungsarbeit machen". (5)
Bereits seit 2017 ist das Mosaik Teil von Stadtführungen, die im Rahmen von "Decolonize Bremen" angeboten werden. "Das seit einigen Jahren bestehende Bündnis ›Decolonize Bremen‹ möchte kritische Debatten anstoßen, auf Verflechtungen hinweisen und dafür sorgen, dass die Geschichte aus der Sicht der Kolonien, also der Opfer, erzählt wird" schreibt der Weser Kurier in dem Artikel mit dem Titel "Düsteres Erbe im Stadtbild." Das Mosaik, so heißt es weiter "ist Sinn- und Abbild der Bremer Rolle im deutschen Kolonialismus." (6)
Auch in der Politik wird ein kritischer Umgang mit dem Brinkmann-Mosaik gefordert. Auf der Homepage von Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90 die Grünen) ist zu lesen: "Wir brauchen einen kritischen Umgang mit kolonialen Spuren im öffentlichen Raum, um die koloniale Amnesie zu überwinden. Das betrifft auch das Wandmosaik im Bremer Hauptbahnhof, das einseitig die Geschichte der Kolonisatoren zeigt. Die Perspektive der Kolonisierten bleibt im Mosaik unberücksichtigt. Bremen und seine Unternehmen waren beteiligt an Gewaltherrschaft und dem Raub von Kulturgütern. Vielen Menschen ist das gar nicht bewusst, weil es zu wenig Informationen darüber gibt."]
In diesen kritischen Stimmen, die hier nur ausschnittweise dargestellt werden können, wird der Wunsch nach einer noch ausstehenden Aufarbeitung, einer Auseinandersetzung und einer wissenschaftlichen Einbettung des Mosaiks deutlich. Fehlende Informationen führen dazu, dass die Aussagen des Mosaiks heute nicht für jeden zugänglich und verständlich sind. Dadurch werden Interpretationen, Hinzufügungen und Spekulationen möglich, die von der eigentlichen Darstellung und kontextualen Bildaussage abweichen und diese verfälschen.
Nur wenigen ist bekannt, dass der Entwurf von einem Künstler stammt, der als russischer Immigrant in Frankreich lebte, hier sowie in Belgien und Deutschland Kunst studierte und zur Zeit des NS Regimes zeitweise inhaftiert war. Noskoff gestaltete, so wird deutlich, alle in dem Tabakhandel beteiligten Menschen im Mosaik, wie den Tabakfarmern aus Indonesien, aus dem Orient und Amerika sowie den französischen Matrosen in Bremer Hafen in Arbeitskleidung ohne ablesbare Hierarchie oder kulturelle Wertung. Dazu und auch für die Peruanische Gottheit benutzte Noskoff Vorlagen, die ihm aus seinem Studium oder durch Reisen bekannt waren. So lassen sich nicht nur Personen, sondern auch die dargestellten Häuser und Schiffe genau zuordnen, auch wenn die stereotypen Darstellungen, die für die Bildsprache der 1950er Jahre typisch war, heute teilweise als befremdlich wahrgenommen werden.
Die Kolonialismus-Debatte ist jedoch weitaus vielschichtiger, als dass diese anhand des Mosaikes hier ausführlich erläutert werden könnte. Im Gegensatz zu Frankreich und anderen Ländern besaß Deutschland offiziell mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 keine Kolonien mehr. Auch hatte Deutschland in allen auf dem im Mosaik symbolhaft dargestellten Ländern zu keinem Zeitpunkt Kolonien. Es handelt sich hier daher nicht um eine Darstellung von Arbeitern, die den Kolonien zugehörig waren und in denen, wie ein Vorwurf lautet, "Gewaltherrschaft" beschönigt wird.
Dennoch ist unstrittig, dass Brinkmann, wie viele weitere Unternehmen, die Waren aus dem Ausland importierte und dabei von den ungerechten Arbeitsbedingungen in diesen Ländern profitierte. Die Darstellungen im Mosaik weisen auch heute auf die noch bestehenden kapitalistischen Beziehungen von Industrienationen und Erwerbsländern hin. Ein Thema, das an Aktualität nicht verloren hat und gesellschaftlich besprochen werden muss. Das Mosaik bietet dazu einen Anstoß und macht somit auf diese auch noch gegenwärtig bestehende globale Problematik aufmerksam.
Dass in dem Mosaik alle Bedeutungsebenen wichtig sind, um die Aussage zu verstehen, wird unter anderem an der Maske deutlich. Der Vorwurf, dass hier eine Beteiligung Bremens bzw. eines hier ansässigen Unternehmens am Kunstraub ablesbar sei, überschattet den eigentlichen Inhalt der Darstellung. Es kann ebenso angenommen werden, dass es sich bei der Maske, die der französische Matrose in der Hand hält, um eine Kunstreplik handelt. Wie oben erläutert, wurden und werden solche Masken zum Beispiel an der Elfenbeinküste für den Kunstmarkt hergestellt.
Wichtig ist, dass, wie gefordert, eine Vermittlung der Geschichte des Wandbildes und auch des künstlerischen Zeugniswertes umgesetzt wird. Seit längerem wird daher eine erläuternde Tafel oder Stele in der Bahnhofsvorhalle angestrebt. Dieser Beitrag sollte ein erster Schritt zu einer längst ausstehenden wissenschaftlichen Diskussion sein, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Dazu gehört nicht nur die Anhörung und Einbeziehung von Betroffenengruppen in einem partizipativen, offenen Prozess, sondern auch die Aufarbeitung der Firmengeschichte Brinkmanns. Überlegungen zu einer Ausstellung in der ehemaligen Kesselhalle auf dem Brinkmann Gelände, in der insbesondere die Verstrickungen des Unternehmens während des Nationalsozialismus erläutert werden, stellen einen Auftakt einer wichtigen Entwicklung dar.
Denn gerade bei unbequemen Zeitzeugnissen, deren Darstellungen an eine ungeliebte Geschichte erinnern, wird man der Verantwortung für die eigene Vergangenheit nur gerecht, indem man sich dieser besonders annimmt. Sie sind ein unverzichtbarer Teil unseres historischen Erbes und müssen, um das gesamte Bedeutungsspektrum und deren Aussage zu erfahren, ganzheitlich betrachtet und gelesen werden und auch weiterhin lesbar sein.
Mit dem Erhalt und der Präsentation des durch eine hohe künstlerische Qualität gekennzeichneten Mosaiks bietet sich die Chance einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der kolonialen Stadtgeschichte Bremens. Damit diese Debatten immer neu und auch von den zukünftigen Generationen geführt werden kann, ist der Schutz und die Bewahrung der Authentizität des Mosaiks von besonderer Bedeutung.
Heute wie damals gehen täglich rund 120.000 Besucher Bremens unter dem Mosaik zu den Zügen und reisen in die Ferne. Der Bahnhof bildet noch immer ein Tor zu einer weiten Welt und ist zugleich ein Ort des Nach-Hause-Kommens. Dieses Thema findet sich auch im Mosaik: das Fernweh nach fremden Ländern sowie ein Ankommen in der Hansestadt mit Stadtmusikanten und einer vertrauten Heimat. Und zugleich die Reise des Tabaks aus Übersee, mit dem auch ein Stück ferne Welt und Kultur nach Bremen gelangte. Die Kolonialgeschichte war und ist eng mit der Hansestadt Bremen verbunden und heute noch im Stadtbild und an öffentlichen Kunstwerken erfahrbar. Diese vielfältigen Bezüge lassen sich auch aus dem Mosaik lesen, so dass dieses weitaus mehr als Werbung ist.
(01) Die Zeitschrift "Das Tabakblatt" ist im Staatsarchiv Bremen aufbewahrt.
(02) Entsprechend berichtet Gerd Christiansen von seiner Arbeit bei der Handelsschifffahrt in einem Leserbrief: "Keine Raubkunst", in: Weser Kurier, 8. August 2022, S. 15.
(03) bspw. in dem Artikel "Zu Gast bei Brinkmann in Bremen. Impressionen über einen Besuch in der größten Tabakfabrik des Kontinents", Heft 3, 1973.
(04) Im Archives générales du Royaume Bruxelles befindet sich unter n° 2168809 eine Akte zu Alexandre Noskoff. Einige Informationen finden sich auch im Internet unter: https://artrz.ru/menu/1804657331/1805278374.html sowie https://ls.vanabbemuseum.nl/N/noskoff/text/noskoff.htm
"Leuchtende Farben zeigen Tabak und Hafen in der Bahnhofshalle", in: Bremer Nachrichten Nr. 294, Mittwoch 18. Dezember 1957, S. 7.
"Fliesentableau noch gerettet", in: Weser Kurier, 5. Januar 2000, S. 11.
"Einzigartiges Fliesentableau vor dem Abriss", in: Weser Kurier, 4. Januar 2000, S. 15.
Weser Kurier, Mittwoch 18. Dezember 1957, S. 7.
"Größte Tabakfabrik auf dem europäischen Kontinent" und "Ein Leben für den Tabak. Wolfgang Ritter 40 Jahre bei Brinkmann", in: Bremer Anzeiger links der Weser Nr. 40 Freitag 6. Oktober 1961.
Bremer Anzeiger links der Weser Nr. 6, Freitag 8. Februar 1963.
"Kleines Bremer Lexikon", die Bremer Stadtmusikanten (Im Bahnhof), in: Weser Kurier, 5. Mai 1961, S. 18.
Staatsarchiv Bremen: Das Tabakblatt. Hausmittelungen der Brinkman GmbH Bremen.
Hauser, Dr. Andrea: Bremen und der Tabak - ein historischer Exkurs (Online Version unter: [-LINK 33276; http://www.bremerfrauengeschichte.de/6_Forschung/Tabak.pdf)]
Binder, Walter: Eine Wandkeramik im Hauptbahnhof Bremen, hergestellt von der Steingutfabrik Grünstadt, In: Steingutfabrik Grünstadt Gegründet 1801, Grünstadt 1985, S. 51-53.