Während des Kaiserreichs und den Jahrzehnten danach wurde die erste deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia) im allgemeinen Sprachgebrauch meist verkürzt als "Deutsch-Südwest" oder einfach "Südwest" bezeichnet.
Die Initiative für die Errichtung einer Kolonie ging von dem Bremer Tabakkaufmann Adolf Lüderitz aus, der bereits 1883 das Gebiet von Angra Pequena (der späteren "Lüderitzbucht") erworben hatte: Zum Preis von 100 Britischen Pfund und 200 alten Gewehren wurde das Land im Umkreis von 5 Meilen um die Bucht dem Nama-Kaptein Joseph Fredericks abgekauft. Dabei war allerdings Betrug im Spiel: Fredericks ging von den damals gebräuchlichen englischen Meilen (1,6 km aus), während Lüderitz die geografische "deutschen Meilen" (7,4 km) zugrunde legte, ohne dass dies im Vertrag erwähnt wurde. Somit verlor Fredericks einen Großteil seines Stammesgebietes. Der so erschwindelte private Landbesitz wurde 1884 von Reichskanzler Otto von Bismarck "unter Schutz" gestellt. Somit nahm das deutsche Kolonialreich auch von Bremen aus seinen Anfang.
Das große, aber mit zunächst ca. 200.000 Einwohnern dünn besiedelte Gebiet, war die einzige deutsche Kolonie in Afrika, die sich für eine umfangreichere europäische Besiedlung eignete, und spielte aus diesem Grund im deutschen kolonialen Denken eine bedeutende Rolle: Die Vorstellung einer zukünftigen Siedlerkolonie träumte von einem "neuen Deutschland" auf dem afrikanischen Kontinent. Und so konfiszierte die Kolonialverwaltung rund 70 Prozent des Landes, um es deutschen Landwirten zur Verfügung zu stellen. Bis zum 1. Weltkrieg lebten ca. 12.000 Deutsche in Deutsch-Südwestafrika. Wirtschaftlich lukrativ für die Kolonialgesellschaften war am Ende jedoch nur die Ausbeutung der Kupfer- und Diamantenvorkommen im kargen, von Wüsten gesäumten Land.
Die neuen Kolonialherrscher unter dem langjährigen Gouverneur Theodor Leutwein verstanden es, nach dem Prinzip "Teile und Herrsche", die lokalen Machthaber der Herero und Nama gegeneinander auszuspielen. Dabei verlief die von zahlreichen militärischen Expeditionen begleitete Herrschaftssicherung alles andere als friedlich. Als katastrophal für die lokale Bevölkerung entwickelte sich die Rinderpest von 1897, die große Teile der Herero ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubte und in die Abhängigkeit von deutschen Siedlerinnen und Siedlern zwang, sowie der Krieg gegen Herero und Nama 1904-1907. Dieser weitete sich aus zum ersten Völkermord der deutschen Geschichte.
Nachdem im Januar 1904 die in ihrer Existenz bedrohten Herero überraschend deutsche Einrichtungen und Farmen angriffen, entsandte die Reichsleitung bald militärische Verstärkung. Als Ziel wurde nun die bedingungslose Unterwerfung der Aufständischen ausgegeben, Verhandlungen waren nicht vorgesehen. Durch etwa 15.000 Soldaten unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha, der zur Ablösung Leutweins entsandt wurde, wurde der Aufstand der Herero bis zum August 1904 niedergeworfen, während sich die Nama noch bis 1907 in einem Guerrillakrieg gegen die Deutschen zur Wehr setzten. Trotha hatte den Herero offiziell den Krieg erklärt und verfolgte eine Strategie der Vernichtung, die den Krieg als Rassenkrieg deutete, der mit "Strömen von Blut" zu führen sei. Der größte Teil der Herero wurde daraufhin in die Omaheke-Wüste getrieben, in der lebensfeindliche Bedingungen herrschten. Trotha ließ diese abriegeln und die wenigen vorhandenen Wasserstellen besetzen. In der Folge verdursteten Tausende Herero mitsamt ihren Familien. Neben dem Massenmord in der Wüste hat auch Trothas berüchtigter Schießbefehl auf schwarze Männer, Frauen und Kinder, und die Errichtung von Konzentrationslagern für die Gefangenen dazu geführt, dass der deutsche Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika von Historikern heute mehrheitlich als Vernichtungskrieg interpretiert wird. Eindeutige Opferzahlen liegen noch immer nicht vor, doch wird mittlerweile von mehr als 75.000 ermordeten Angehörigen der Herero und Nama ausgegangen.
Die deutsche Kolonie Südwest-Afrika wurde 1915 nach monatelangen Kämpfen an die Südafrikanische Union übergeben, welche nach dem Versailler Vertrag auch mit der Verwaltung der ehemaligen Kolonie beauftragt wurde.
Auch heute befinden sich noch 44 Prozent der Fläche Namibias - 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche - im Besitz von 4500 weißen Nachkommen europäischer Siedler, während die Nachfahren der Opfer meist in Armut leben.
Im Jahr 2021 hat die Bundesregierung die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Der Streit um offizielle Reparationszahlungen hält jedoch noch immer an.
Text: Dr. Hanno Balz, Historiker, in Abstimmung mit der Landeszentrale für politische Bildung und dem Senator für Kultur